Können ätherische Öle Schaden anrichten? In diese Richtung gehen viele Diskussionen in Internetgruppen. Es gibt die verrücktesten Behauptungen, Missverständnisse und Verwirrungen. Die einen verdünnen bis zur Unkenntlichkeit während die anderen immer forscher mit unverdünnten, teils sehr hautreizenden Mengen um sich werfen. Die einen warnen oft und heftig über den Gebrauch von ätherischen Ölen, die anderen meinen “ist doch alles Natur” und man könne bedenkenlos und ohne viel Schulung heilend unterwegs sein.
Da ich in Vorbereitung auf die komplett zu renovierende Neuauflage meines Kursbuches vielerlei (Fach-)Texte lese, übrigens auch in französisch und englisch (wo derzeit ähnliche Diskussionen stattfinden), stelle ich fest, dass 99 Prozent aller Gefahrenhinweise auf die INNERE Verwendung von ätherischen Ölen zurück zu führen sind.
Auch botanische Missverständnisse kursieren gerne im Internet, beispielsweise vor einigen Tagen die Fragestellung von Robert Tisserand in seinem hervoragenden Blog, ob Bergamotteöl für Kinder gefährlich werden könne, da es schwere Krämpfe auslösen könne (das behaupten zwei in den USA anerkannte verbraucherschutz-orientierte Websites). Bei echtem Bergamotteöl, das über ein Drittel krampflösendes Linalylacetat enthält (wie Lavendelöl), ist keine Gefahr zu befürchten. In der englischen (Gärtner-)Sprache jedoch wird die Indianernessel ‘bergamot’ genannt, diese wunderschöne Pflanze, vor allem Monarda fistulosa, gibt es in einem Chemotypen der reichlich Carvacrol enthält. Das Öl dieser ‘bergamot’ kann also Kindern durchaus gefährlich werden.
Nach gründlichem Durchlesen des ausführlichen Kapitels über Toxikologie im fast 800 Seiten starken Wälzer Essential Oil Safety von Robert Tisserand und Rodney Young ist mir nochmals klar geworden, dass der überwiegende Teil der Warnungen aufgrund von Tierexperimenten zustande gekommen ist, mit völlig überzogenen Dosierungen, teilweise mit synthetischen Isolaten. Für viele Warnungen bezüglich Wechselwirkungen mit Medikamenten wurden vorwiegend tierische Gewebeproben für die Experimente verwendet und dann auf Wirkungen auf den lebenden Menschen geschlossen. Viele dieser “negativen Erkenntnisse” entstanden im Zusammenhang mit “heftigen” Medikamenten wie Antidepressiva, Immunsuppressiva, Blutdrucksenkern etc.
So komme ich immer wieder zu den gleichen Schlussfolgerungen:
- Wenn ätherische Öle aus seriöser Quelle verwendet werden, verringert sich das Potenzial von unerwünschten Nebenwirkungen.
- Wenn qualitativ hochwertige ätherische Öle verdünnt werden, wie von allen seriösen KollegInnen und AutorInnen empfohlen (zwischen 0,5 und 5 Prozent; in Ausnahmefällen 10 Prozent wie beim Kopfschmerz-Roll-on oder tropfenweise pure Anwendung bei akuten Verletzungen), sind unerwünschte Nebenwirkungen bei grundsätzlich gesunden Menschen so gut wie ausgeschlossen (klar, es gibt Menschen, die so empfindlich sind, dass sie auch von etwas zu viel Kochsalz, von frischem Brot, von Ananas etc Schäden davon tragen).
- Wenn bei vielen ätherischen Ölen die relativ kurze “Haltbarkeit” berücksichtigt wird, verringert sich das Potenzial von unerwünschten Nebenwirkungen, insbesondere bezüglich der Hautreizung und des Allergiepotenzials. Die “Haltbarkeit” kann leider nicht absolut betrachtet werden, leicht oxidierte Öle können empfindliche Haut stark reizen, stark oxidierte Öle werden von robusten Naturen manchmal gar nicht zur Kenntnis genommen. Hier kann eine Übersicht und eine Tabelle zur Haltbarkeit von ätherischen Ölen nachgelesen werden.
- Wenn bei Kleinkindern bestimmte Öle vermieden werden (vor allem Pfefferminzöl und cineolhaltige Öle von Billigfirmen) und so genannte Erkältungsöle NUR auf den Rücken und auf die Füße (nicht jedoch in Nasennähe auf Brust und im Gesicht) aufgetragen werden, kann man auch bei dieser empfindlichen Gruppe unerwünschte Nebenwirkungen fast ausschließen.
- Wenn schwangere Frauen “immer der Nase nach gehen” (denn ihr Riechsinn ist in dieser Zeit extrem alert) und ätherische Öle nur ÄUSSERLICH und 1-2%ig verdünnt anwenden, ist keinerlei Schädigung ihres Babys zu befürchten. Sie dürften sonst nicht im Restaurant/Kantine essen gehen (mit Hexan gewonnene “Speiseöle”, hormonbelastete Fleischprodukte, Farbstoffe, Aromastoffe etc), sie dürften keine herkömmlichen Parfüms/Kosmetika anwende (hormonähnliche Phtalate, synthetische Duftstoffe etc), sie dürften keine Nicht-Bio-Kleidung tragen (gefährliche Farbstoffe, Agrargifte-Rückstände in Billig-Baumwolle, elektrostatische Effekte in Sythetikstoffen etc), sie dürften keinen Joghurt mit Zimtgewürz und kein Rotkraut mit Gewürznelken mehr essen. Die Gefahrenmeldungen in Büchern beziehen sich IMMER auf Erkenntnisse durch fehlerhafte und INNERE Anwendungen (beispielsweise zu Abtreibungszwecken). In diesem Artikel kann detailliert über ätherische Öle in der Schwangerschaft nachgelesen werden.
- Wenn Menschen mit Neigung zu Krämpfen des Nervensystems/Epilepsie nur mit ketonarmen ätherischen Ölen behandelt werden, sollten keine Krämpfe vorkommen. Viele ätherische Öle wirken sogar Krämpfen entgegen (Lavendelöl, Mandarinenöl, Orangenöl, Bergamottminzeöl, Basilikumöl, Majoranöl, Fenchelöl etc) sodass bei korrekter Verdünnung eher positive Effekte zu erwarten sind. Dieser Artikel zur Aromatherapie bei Epilepsie kann auch nachgelesen werden.
- Wenn Menschen, die stark in ihren Organismus eingreifende Medikamente nehmen müssen (Betablocker, Blutverdünner, Antidepressiva, Cholesterinsenker, Krebs-Behandlung etc), sind die oben stehenden Hinweise besonders zu berücksichtigen. Bei ÄUSSERER Anwendung und Verdünnungen unter 3 Prozent sind selbst bei Menschen, die Blutverdünner verwenden, keine unerwünschten Nebenwirkungen zu befürchten. Bei Unsicherheit kann heutzutage jeder Laie den Quick-Wert kontrollieren.
- Wenn bei der Einnahme von ätherischen Ölen berücksichtigt wird, in welcher winzigen Menge die Duftstoffe in der Originalpflanze vorliegen und ob wir sie täglich oder nur im Krankheitsfalle zu uns nehmen würden, gibt es – vorausgesetzt die Qualität stimmt – auch in diesem Bereich nichts zu befürchten. Also kann von Bio-Zitrusölen 1 Tropfen täglich verspeist/getrunken werden (Hauptinhaltsstoff Limonen, dieses essen/trinken wir auch in Orangensaft, Cola-Getränken, Tomaten, Aprikosen, Orangenmarmelade, Dillgewürz, Kümmelfrüchten (Samen), Pfefferkörnern, Koriandersamen etc), 1-2 Tropfen von Vanille- und Kakao-Extrakt sind auch täglich möglich. Tonkaextrakt, Pfefferöl , Ingweröl, Basilikumöl, Thymianöl, Zimtöl und Gewürznelkenöl sollten nicht täglich eingenommen werden, doch das regelt der Appetit vermutlich von selbst. Andere Öle (Bohnenkrautöl, Salbeiöl) nur gelegentlich und/oder zu Krankheits-Anlässen wenn man sich gut auskennt oder exakt nach den zwei hervorragenden Kochbüchern Duftküche von Maria Kettenring und Aromaküche von Sabine Hönig und Ursula Kutschera. Folgende Tabelle zur “Einnahme von ätherischen Ölen” kann nachgelesen werden.
Übrigens sind die Pflanzen des Jahres 2015 (alle drei sind Ätherisch-Öl-Pflanzen!):
ZWIEBEL, Heilpflanze des Jahres 2015, gewählt vom Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise nach Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus e.V.
JOHANNISKRAUT, Arzneipflanze des Jahres 2015, gewählt vom “Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde”, der Universität Würzburg.
SALBEI, Duftpflanze des Jahres 2015, gewählt von The Scented Drop.
Liebe Eliane,
lieben Dank für Deine ausführliche Aufstellung. Ich bin immer wieder entsetzt, wie wenig manche Menschen über die richtige Anwendung von ätherischen Ölen wissen und sie trotzdem völlig bedenkenlos anwenden und auch andere Menschen “therapieren”.
Liebe Eliane!
Vielen Dank für Deine ausführlichen Informationen!
Ich wünsche Dir für das kommende Jahr ganz viel Glück und Gesundheit und ich freue mich wenn ich dich wieder mal live in Österreich erleben darf!
Liebe Eliane, ganz herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Bericht, aus dem ich wieder einiges lernen konnte. Hatte gerade gestern ein Gespräch mit einer Frau, die versuchte, Eukalyptusöl, aufgelöst in Wasser, gegen Grippe einzunehmen, wovon ich ihr abriet. Ich werde ihr Deinen Beitrag mailen, er kommt grade recht.
Dir alles Liebe und Gute im Neuen Jahr und viel Erfolg. Mögen wir weiterhin viele Menschen aufklären in allen möglichen Bereichn. Liebe Grüsse aus dem Rheinland. Gitte
Liebe Eliane, wo soll ich anfangen, wo soll ich aufhören. Infos über Infos gibst Du uns in Deinem aufschlußreichen Bericht. Zunächst einmal habe ich mir die Haltbarkeits-Hinweise versch. äther. Öle herauskopiert (versuchsweise aus Deinem blog in der gezeigten
Größe und einmal vergrößert). Super! Beide Kopien habe ich
laminiert. Die große Kopie (im Querformat) kommt in mein Holzkistchen zu den äther. Ölen und die kleine Kopie wird in einem Deiner Bücher deponiert. Herzlichen Dank für Deinen Bericht und die umfangreichen Recherchen.
LG Bastelfee Alberte
Hochinteressant, vielen Dank!
Dürfte ich eine Frage stellen? Ich benutze seit einem halben Jahr manchmal (max. 2x pro Woche) zwei Tropfen Bergamotte-Öl auf meine Fusssohlen. Das ist pures Öl, sollte ich das lieber verdünnen? Ich kommen mit all den Info’s über Verdünnung nicht so gut klar. (Bin Holländerin und verstehe nicht immer alles. Finde aber die deutschschprachig verfügbare Info besser als die holländische…)
Liebe Eliane
Dieser Beitrag ist schon älter, trotzdem hoffe ich auf eine Antwort 🙂
Habe ich richtig verstanden, dass Menschen die bspw. Psychopharmaka/Antidepressiva einnehmen müssen, GLEICHZEITIG und TROTZDEM ätherische Öle für sich anwenden können in niederen Dosierungen? Ich finde es drum schade, wenn sie die ÄÖ auslassen und nur noch Chemie gebrauchen…
Liebe C., die Erfahrung zeigt, dass Menschen, die recht schwer psychiatrisch erkrankt sind, also dass sie Psychopharmaka benötigen, womöglich ein anders funktionierendes Verarbeiten der Duftmoleküle haben als “normale” Menschen. Heftiger oder teilweise “umgekehrt, Gerüche, welche von der Mehrheit geliebt werden, wie beispielsweise Vanille, empfinden sie evtl als eklig. Das Riechsystem ist ja extrem verknüpft mit dem emotionalen System, eigentlich ist es eins, wie auch Prof. Dr. Bettina Pause in ihren vielen Studien zeigen konnten: https://aromapraxis.de/buecher/alles-geruchssache-bettina-m-pause/
Auch in unserer Podcast-Folge erläutern wir dieses Phänomen anhand von sehr berührenden Beispielen: https://aromapraxis.de/podcasts/episode-78-immer-der-nase-nach/
Darum ist zu empfehlen, dass im Fall der Einnahme von Psychopharmaka, von denen jedes auf seine Art eindeutig in den Stoffwechsel der Neurotransmitter eingreifen, vorab ganz besonders gründlich und behutsam zu testen, ob bzw welcher Duft gut tut. Das ist eindeutig an der Mimik, evtl an der gesamten Körpersprache zu erkennen, an den Worten auch. Gerne fragen: woran erinnert dich dieser Duft? Wenn der Duft eine Farbe wäre, welche wäre es? Idealerweise, wie im Podcast beschrieben, den Duft nicht benennen, sondern “blind” riechen zu lassen, möglichst neutral anbietend, also ohne Suggestionen wie “mal schauen, ob dir dieser fruchtige Duft gefällt”. Es ist erstaunlich, manchmal fast erschreckend, was mit solchen offenen Assoziationen hoch kommt. Und nicht die eigene Wertung einfließen lassen! Also selbst wenn jemand sagt, das riecht nach Höhle, ist dunkelbraun und nass, nicht die eigene Wertung anmerken lassen, sondern neutral bleiben und fragen: was bedeutet eine dunkelbraune, nasse Höhle für dich? Es kommen fast immer deutliche emotionale Reaktionen (gemütliche Abende in der Kindheit, oder Gefangenenssein, oder Enge, Ersticken, oder Erinnerungen an einen Urlaub mit Edelsteinhöhlen etc. Unsere so überaus für diese Themen talentierte Kollegin Christine Lamontain schreibt immer wieder über solche Beispiele (sie gäbe erst kürzlich wieder einen Kurs in Bern bei http://www.sela.info )
Erlaubt ist also jeder Duft in jeder vernünftigen Dosierung, es ist aus den genannten Gründen einfach wesentlich mehr Vorsicht und Achtsamkeit nötig.