Wie weiß der Behandler, welche ätherischen Öle bei speziellen Infektionen eines bestimmten Klienten oder einer bestimmten Patientin in Frage kommen? Neben Erfahrung und sicher auch Intuition ist das Aromatogramm das wichtigste Werkzeug des therapeutisch arbeitenden Aromaspezialisten.

Das Aromatogramm

In Frankreich und nur ganz sporadisch in Deutschland wird – meist in spezialisierten Labors – ein Aromatogramm hergestellt, vorausgesetzt, es handelt sich um bakterielle oder pilzbedingte Krankheiten. Denn das Wissen, ein bestimmtes ätherisches Öl zum Beispiel gegen Staphylokokken hilft, führt nicht zwangsläufig zum Erfolg, da der Gesamtzustand des Patienten das Verhalten der Bakterien mit beeinflusst. Staphylokokkus ist nicht gleich Staphylokokkus. Gemäß dem Motto von Claude Bernard (1813-1878, er war ein “Konkurrent” von Louis Pasteur, dem dieses Zitat meistens fälschlicherweise zugesprochen wird) ” Die Mikrobe ist nichts, das Terrain ist alles.” muss man das Gleichgewicht aller Organsysteme und den Allgemeinzustand des Patienten berücksichtigen. Das (neuroendokrinologische) Terrain umfasst

• das Zentralnervensystem (ZNS): Gehirn und Rückenmark steuern das Bewusstsein, das durch den Charakter des einzelnen geprägt ist

• das neurovegetative System: Es reguliert die “automatische” Steuerung lebenswichtiger Organfunktionen

• das endokrine Drüsensystem: Die Hypophyse samt allen ihr untergeordneten Drüsen schütten Hormone in den Blutkreislauf und regulieren somit alle Stoffwechselvorgänge.

Mit dem Aromatogramm kann der Behandler eine Kultur der Krankheitserreger anlegen und ganz konkret testen, welches ätherische Öl (oder Mischung) diese am besten eindämmt oder abtötet. Ähnlich dem Antibiogramm werden in mehreren Petrischalen Erreger des Erkrankten aus Blut, Urin, Auswurf oder einem Abstrich gezüchtet. Auf die Oberfläche der Nährböden legt man Papierblättchen, die jeweils mit verschiedenen in Frage kommenden ätherischen Ölen oder mit Mischungen aus ätherischen Ölen getränkt wurden. Nach 24 Stunden Brutzeit haben sich die Keime mehr oder weniger ausgebreitet. Wenn das ätherische Öl gewirkt hat, sieht man eine wachstumsfreie Zone rund um das getränkte Papier. Mit 0 oder ein bis vier Kreuzchen wird diese Zone bewertet: +, ++, +++, ++++. Dieser Labortest ist zuverlässig und jederzeit reproduzierbar, für (biochemisch) gleiche Öle erhält man übereinstimmende Resultate.

Bakterienkiller ätherisches Öl

Alle ätherischen Öle wirken mehr oder weniger stark antibakteriell (bakterizid und/oder bakteriostatisch); einige wirken zuverlässiger bakterizid (Bakterien abtötend) als ganz starke synthetische Desinfektionsmittel wie beispielsweise das Phenol. Sie wirken bei sachgemäßer Anwendung schonender auf den menschlichen Organismus als die Keulen aus den Labors der Chemiker. Ätherische Öle von hoher Qualität haben einen pH-Wert von 5 bis 5,8, sie sind also leicht sauer. Das ist mit ein Grund für die antibakterielle bzw. bakterizide Wirkung der ätherischen Öle, denn die meisten Bakterien benötigen ein alkalisches Milieu für ihr Wachstum. Auch Viren sind nicht gerade Freunde der ätherischen Öle, doch hier scheint die Wirkung nicht so allgemein zu sein wie bei der Bekämpfung von Bakterien. Mit Hilfe des Aromatogramms kann man zuverlässig und reproduzierbar die bakterizide Wirkung bei unterschiedlichsten Krankheitserregern nachvollziehen. Es ist festgestellt worden, dass die Effekte der ätherischen Öle am lebenden Menschen “in vivo” anders und wirkunsvoller sind, als wenn dasselbe Öl im Reagenzglas eines Labors “in vitro” getestet wird. Ebenso besteht ein Unterschied zwischen der Anwendung von isolierten Bestandteilen aus ätherischen Ölen (zum Beispiel Thymol, Linalool oder Zimtaldehyd) oder synthetischen Ölen und dem kompletten natürlichen Öl, in dem eben dieser Bestandteil vorrangig enthalten ist. Das betrifft vor allem die sogenannten problematischen Öle, deren “Gefährlichkeit” entweder anhand von isolierten Hauptbestandteilen oder in vitro getestet wird. Bei naturreinen ätherischen Ölen scheint die Synergie aller Bestandteile die Gefahren abzuschwächen. Anders gesagt gilt gerade für die ätherischen Öle: das natürliche Öl wirkt stärker und unproblematischer als die Summe seiner Bestandteile.

Zur Illustration der antibakteriellen Wirkung von ätherischen Ölen sei an dieser Stelle ein kleines Experiment geschildert: In einem Liter Fleischbrühe, die mit Wasser aus einer Klärgrube “verseucht” wurde, testete man die kleinste Menge verschiedener ätherischer Öle, die die Vermehrung der Mikroben verhinderte. Man benötigte 0,7 ml Thymian-Öl, 1 ml Oregano-Öl, 1,7 ml Öl der Blätter des chinesischen Zimts und 1,8 ml Rosen-Öl. 5,6 ml des klassischen Desinfektionsmittels Phenol wären nötig gewesen, um den gleichen Effekt zu erzielen. Es wurden auch schon Untersuchungen in geschlossenen Räumen vor und nach dem Zerstäuben von ätherischen Ölen vorgenommen. Während in einem Beispiel vorher 210 Keime gefunden wurden (einschließlich 12 Sorten von Schimmelpilzen und 8 Staphylokokkenstämme), überlebten nur 8 Keimarten die halbstündige Beduftung mit ätherischen Ölen. Hier wirken vor allem monoterpenhaltigen Öle der Nadelbäume und die Essenzen aus den Schalen der Zitrusfrüchte.

MRSA

Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit von einigen ätherischen Ölen gegen den gefürchteten, gegen starke Antibiotika resistenten Krankenhauskeim Staphylokokkus aureus (MRSA). Er verliert unter dem Einfluss des Öles von Melaleuca alternifolia (Teebaumöl) Kaliumionen, so dass er an Aggressivität verliert (Hada 2003), zudem verändert sich seine Morphologie, vor allem der Aufbau seiner Zellmembran, stark (Carson & al. 2002).

In mehreren Einzelbeobachtungs-Studien in verschiedenen Ländern konnte zudem gezeigt werden, dass man bei einigen Patienten jahrelange Antibiotikaeinnahmen beenden konnte und ihnen sogar Amputationen ersparten konnte (Dryden & al. 2004; Sherry & al 2001).

Ferner zeigten Zubereitungen aus Eukalyptus- und Teebaumöl in mehreren Beobachtungsstudien, dass MRSA ungleich schneller zu besiegen ist als zuvor lang anhaltende Antibiosen (Sherry E, Boeck H, Warnke PH 2001)

Resistenzen gegen Antibiotika

Bakterienstämme lernen sehr schnell, gegen das menschengemachte und standardisierte „Gift“ Antibiotikum immun zu werden; v.a. Staphylokokkus kann ein Enzym Penicillinase herstellen, das Penicillin unaktiv macht. Resistenzen stellen eine zunehmende Gefahr in Krankenhäusern dar, da dort heimisch gewordene aggressive Bakterienstämme Patienten unnötig gefährden. Das kann bedeuten: Man muss wegen einer relativen “Kleinigkeit” wie einen offenen Bruch  ins Krankenhaus und endet auf der Intensivstation, da man sich diese Bakterien “eingefangen” hat. Resistenzen entstehen durch: – falsche Einnahme von Antibiotika (zeitlicher Abstand, zu wenige Tage) – unnötige Verschreibungen (bei leichten und/oder viralen Infekten, prophylaktisch) – Antibiotika in Essen (Fleisch, Milchprodukte) und Trinkwasser.

Alle ätherischen Öle wirken mehr oder weniger stark antibakteriell, die Spitzenreiter mit Antibiotika-Charakter sind die stark phenolhaltigen Öle wie: Cinnamomum zeylanicum, Zimt Origanum vulgare, Oregano Satureja montana, Berg-Bohnenkraut Thymus vulgaris Ct. Thymol und Carvacrol Syzygium aromaticum, Gewürznelke Ocimum sanctum, Tulsi (Heiliges Basilikum) Pimenta dioica, Bay und Piment.

Eine Resistenz der Bakterien gegen ätherische Öle ist nur schwer möglich möglich, da ätherische Öle aus bis zu 300 (oder mehr z.B. Rose) einzelnen Inhaltsstoffe zusammengesetzt sind und da sich die Zusammensetzung eines ätherischen Öles ständig verändert (Oxidationsprozesse durch Sauerstoff und Licht, Veresterung) und da die Chargen (Ernten) immer leicht unterschiedlich sind.

Quorum sensing: Die Gemeinschafts-Intelligenz

Seit Beginn des aktuellen Jahrtausends gibt es einen neuen Zweig der Antibiotika-Forschung, der auch Erkenntnisse über ätherische Öle hervor gebracht hat, welche im Aromatogramm, also im Labornachweis, keine wirklich überzeugende bakterienhemmende Wirkung zeigen. Keime werden immer resistenter – gegen die „schärfsten“ Antibiotika.

Selbst Mitglieder der deutschen Regierung haben im Jahr 2015 ihre Besorgnis zu diesem Thema öffentlich geäußert. In Betracht von mindestens 15 Tausend Toten in Deutschland und 700.000 Todesfällen weltweit pro Jahr, hervorgerufen durch antibiotika-resistente Keime, müssen neue Wege der Behandlung von Infektionskrankheiten gefunden werden. Im Zuge der unterschiedlichen Forschungsansätze zu diesem Thema befasst man sich mit der Schwarmintelligenz von Keimen.

Dieses so genannte Quorum sensing (QS) beschreibt einerseits die Mechanismen, welche Bakterien nutzen, um sich sozusagen abzusprechen, um die bevorstehende Attacke möglichst erfolgreich und geschlossen ausführen zu können (Paza et al 2013). Mit diesem Begriff werden auch die „Buchstaben“, also die Kommunikationswerkzeuge, der Mikroorganismen beschrieben. Man kennt inzwischen etliche Riechstoffe, welche diese „Unterhaltung“ empfindlich stören: Der Angriff mag dann noch stattfinden, jedoch unkoordinierter und weniger Effektiv, die so genannte Virulenz wird geringer.

Diese Art, Duftmoleküle als „Störsender“ einzusetzen, geben dem befallenen Organismus Zeit, sich besser zu wehren und sein Immunsystem bestmöglich einzusetzen. Vom sehr häufig den Menschen plagenden Candida-Hefepilz weiß man, dass er mit Hilfe von Farnesolmolekülen seinen Angriffsstrategie “abspricht” (auch in den ätherischen Ölen von Lemongrass, Neroli, Rose und Ylang Ylang enthalten) (Abe et al 2009).

Mittlerweile sind einige ätherische Öle und einzelne Riechmoleküle bekannt, die das Quorum sensing vieler Keime unterminieren, also die bakterizide und fungizide Wirkung einiger ätherischer Öle unterstützen, zudem wirken sie der Bildung von Biofilmen, wie sie beispielsweise auf Kathetern entstehen, entgegen:

  • Cardamom (Jaramillo-Colorado et al 2012)
  • Carvacrol (Burt et al 2014)
  • Zimt (Yap et al 2014)
  • Citral (Jaramillo-Colorado et al 2012)
  • Zitrone (Kerekes et al 2013)
  • Eugenylacetat (in Gewürznelkenknospen) (Musthafa & Voravuthikunchai 2015)
  • Lavendel (Yap et al 2014, Szabó et al 2010)
  • Majoran (Kerekes et al 2013)
  • Rose (Szabó et al 2010)
  • Rosmarin (Szabó et al 2010)
  • Rosengeranie (Szabó et al 2010)
  • Pfeffer (Jesús et al 2011)
  • Ingwer (Jaramillo-Colorado et al 2012)

Mehr Informationen sind hier auf dieser Seite unter der Kategorie ‚MRSA’ (Suchfeld in der rechten Spalte) und im Fachbuch “Aromatherapie für Pflege- und Heilberufe”, Haug Verlag, 7. Auflage 2022, darin befinden sich auch die Quellenhinweise (insgesamt über 700!).


Was ist dieser Artikel dir/Ihnen wert? Seit 2008 kann dieses Aromatherapie-Magazin ohne Paywall gelesen werden. Alle aktuellen und insgesamt gut 850 älteren – jedoch meistens zeitlosen – Artikel über die Aromatherapie und die Aromapflege stehen euch und Ihnen hier kostenlos zur Verfügung. Meine durch Idealismus angetriebenen Recherchen, Übersetzungen, Zusammenfassungen und Einschätzungen verschenke ich, die technischen Kosten zum Betreiben einer datensicheren Website werden jedoch nicht weniger. Eine Spende kann zur Deckung dieser unsichtbaren Leistungen beitragen, ich freue mich zudem über eine Wertschätzung meiner Arbeit. Hier geht es zum Spendenformular.