Die “aromatische” Geschichte der Neuzeit

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine rasend schnelle Entwicklung der chemischen Fertigung von Duftstoffen. So wurde 1870 erstmals der feine Duft nach Bittermandeln (Benzaldehyd) nachgebaut, 1874 wurde Vanillin synthetisiert 1884 entzückte Zimtduft aus dem Labor (Zimtaldehyd) die Nasen der Parfümeure. Die ersten schweren Parfums wurden im großen Maßstab kreiert und verbreitet.

Mehr von der Öffentlichkeit unbemerkt wurde jedoch dank der neuen Kenntnisse und Apparaturen in den chemischen Labors untersucht, wie ätherische Öle eigentlich wirken: 1887-89 gelang Chamberland, Cadéac und Meunier der Nachweis, dass ätherisches Thymianöl Kolibakterien, Staphylokokken, Meningokokken und das Koch-Virus zerstört. Bakterien waren bereits 1676 von Antoni van Leeuwenhoek (1632-1723) beschrieben worden. Er hatte sie mit Hilfe eines selbstgebauten Mikroskops in Gewässern und im menschlichen Speichel entdeckt. Viren waren erst kurz zuvor von Louis Pasteur (1822-1895) beschrieben worden.

Nun war es kein weiter Schritt mehr zur Entdeckung der eigentlichen medizinisch orientierten Aromatherapie.

Stammbaum Aromatherapie Eliane Zimmermann

René Gattefossé, der “Vater” der Aromatherapie

Eliane Zimmermann Schule für Aromatherapie

René Maurice Gattefossé

Der Begriff Aromatherapie wurde bekannt durch das Buch gleichen Namens von René-Maurice Gattefossé (1881-1959), das 1937 in französischer Sprache erschien. Er war bereits als kleiner Junge mit Parfums umgeben, da sein Vater Louis und auch später sein großer Bruder Abel in diesem Metier arbeiteten, und er wollte Erfinder werden. Im Familienbetrieb befasste man sich vor allem mit der Chemie der Parfums und entwickelte reproduzierbare Rezepturen statt Konzentrate, wie es damals üblich war.

Man fühlte sich im Familienunternehmen Gattefossé den armen Lavendelbauern der Regionen Drome, Vaucluse und Basses-Alpes verpflichtet, half ihnen, die Destillation und den Anbau zu rationalisieren und Lavendelöl zu bewerben.
René Gattefossé studierte bei den Bauern die medizinischen Eigenschaften der Heilkräuter und deren ätherische Öle, allen voran bewunderte er die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Lavendelöles.

Im Juli 1910 geschah jener berühmte Unfall, der ihn zum “Vater der Aromatherapie” machte: In seinem Labor gab es eine Explosion, in deren Folge sich er sich seine Hände und seine Kopfhaut verbrannte. Die Wunden infizierten sich, zeigten erste Symptome von – vermutlich – Gasbrand (Gasgangrän) mit Clostridium perfrigens, (Tisserand 11/2007). Gattefossés eigener Wortlaut im Buch “Aromathérapie” von 1937*:

< Die äußerliche Anwendung kleiner Mengen von Essenzen stoppten sehr schnell die Ausbreitung von Wundbrand. Ich habe es persönlich erfahren, als ich nach einer Laborexplosion mit brennenden Substanzen bedeckt war, die ich durch Rollen auf einem Rasen löschte. Auf meinen beiden Händen entwickelte sich rasch ein Wundbrand. Nur eine Spülung mit Lavendelöl stoppte die “Vergiftung des Gewebes mit Gasen”. Dieser Behandlung folgte ein intensives Schwitzen und die Heilung begann am nächsten Tag (10. Juli 1910) >

Während des ersten Weltkrieges wurde die antiseptische Wirkung der ätherischen Öle bei Kriegsverletzungen genutzt. Gattefossé produzierte 1918 eine keimtötende Seife auf der Basis von ätherischen Ölen. Damit wurden Verbandsmaterialien und Kleidungsstücke gewaschen.

1923 interessierten Gattefossé nur noch die medizinischen Eigenschaften der duftenden Öle, so dass er vermehrt mit Ärzten und Krankenhäusern zusammen arbeitete. Es folgten die Herstellung diverser Produkte mit ätherischen Ölen und Publikationen zum Thema, selbst der nächste Weltkrieg hielt ihn nicht von der Arbeit ab. Bis zu seinem Tod 1950 betreute er zusammen mit seinem Bruder Jean in Marokko neue Anbauprojekte. Die Firma Gattefossé befindet sich immer noch in Lyon, von wo sie die Duftwelt mit neuen wissenschaftlichen Informationen versorgt.
*auf Deutsch im AT-Verlag, Aarau 1994 erschienen, vergriffen

Quellen: International Journal of Aromatherapy 1992; Vol 4-4 und www.tisserand.com

Marguerite Maury, genannt Madame Maury

Marguerite Maury, with kind permission from Danièle Ryman

Nur wenig jünger war Marguerite Maury (1885-1965), meistens Madame Maury genannt, die sich von Gattefossé in Aromatherapie schulen ließ.
Sie wurde in Österreich geboren und wuchs in Wien auf. Statt Biochemie und Botanik zu studieren, heiratete sie mit 17 Jahren, wurde im folgenden Jahr Mutter, ihr Söhnchen starb jedoch im Alter von zwei Jahren an einer Meningitis. Als dann ihr Mann im ersten Weltkrieg fiel und auch noch ihr Vater Selbstmord beging, ließ sie sich zur Krankenschwester ausbilden. Während ihrer Zeit als chirurgische Assistentin im Elsass bekam sie das Buch „Les Grandes Possibilités par les Matières Odoriferantes“, das bereits 1838 erschienen war, geschenkt. Dessen Autor Dr. Chabenes wurde später der Lehrer von René-Maurice Gattefossé. Bei dieser Lektüre begann ihre Liebe zu den duftenden Ölen.

Ab den frühen dreißiger Jahren forschte sie mit dem homöopathischen Arzt Dr. Maury, sie schrieben zusammen Bücher und versuchten in den vierziger Jahren nachzuweisen, wie ätherische Öle auf das Nervensystem wirken, wie ihr seelisch ausgleichender und verjüngender Effekt zustande kam. Sie gab Seminare in ganz Europa und eröffnete Aromatherapie-Kliniken in Paris, in der Schweiz und in Großbritannien.

1961 erschien ihr bekanntestes Buch „Le Capital Jeunesse“. Sie beschreibt ihre Erkenntnisse aus ihrer medizinisch-kosmetischen Arbeit mit ätherischen Ölen und plädiert für eine sorgfältige Schulung, um für jeden individuellen Menschen die richtigen „verjüngenden“ Öle einsetzen zu können.

Zusammen mit ihrer späteren Nachfolgerin Danièle Ryman war sie eine Pionierin, die dem interessierten Publikum die gesundheitlichen und schönheitsfördernden Eigenschaften der ätherischen Öle vorstellte. Bühnen- und Leinwandstars ließen sich von ihnen behandeln. Die fleißige und unermüdliche Marguerite Maury starb 1968 an einem Hirnschlag, sie wurde in der Schweiz begraben.

Jean Valnet, genannt Papa Valnet

Eliane Zimmermann AiDA Schule für Aromatherapie

Jean Valnet

Auch Jean Valnet (1920-1995) erhielt sein Wissen über die medizinischen Eigenschaften der ätherischen Öle von René-Maurice Gattefossé. Seine Großmutter, die Hebamme war, beeindruckte ihn stark und so beschloss er bereits mit neun Jahren, Arzt zu werden und mit Pflanzen zu therapieren. Nach seinem Studium der Medizin in Lyon wurde er 1945 Armee-Arzt. Seit 1953 beschäftigte er sich mit den Anwendungsmethoden und der Dosierung von ätherischen Ölen. Im Indochina-Krieg (1950 bis 1952) pflegte er als Chirurg die Verwundeten mit ätherischen Ölen und erzielte bemerkenswerte überdurchschnittliche Heilungserfolge. 1954 erhielt er die Medaille für wissenschaftliches Arbeiten.

1959 beendete er seine Armeezeit, ließ sich in Paris nieder und widmete sich auch seinen Forschungsprojekten. 1964 veröffentlichte er das Buch „Aromathérapie: les Huiles Essentielles Hormones Végétales“, es war das erste medizinische Buch über die Aromatherapie, in Frankreich ist es ein Klassiker und erschien es bereits in mehr als zehn Auflagen. Mit dieser Veröffentlichung wurde die eigentliche Aromatherapie einem sehr breiten französischen Publikum bekannt, Valnet sah sich als ihr Begründer.

Jean Valnet war immer der Auffassung, dass man kein Arzt sein müsse, um die Aromatherapie anzuwenden, allerdings sollte man in der Anwendung der ätherischen Öle extrem sorgfältig geschult sein. Er starb am 29. Mai 1995.

Mehr zu den Pionieren der Aromatherapie im Fachbuch Aromatherapie für Pflege- und Heilberufe Haug Verlag, 6. Auflage 2018