Im Park unseres Seminarhauses blüht der erste Magnolienbaum (Magnolia campbellii var. mollicomata), der Baum ist so alt und so hoch, dass man die wunderschönen schmetterlingsartigen Blüten selbst mit einem recht guten Teleobjektiv kaum ‘einfangen’ kann. Da es gestürmt hatte, liegen einige der fleischig-dicken Blütenblätter auch schon wieder am Boden und ich musste mal reinbeißen: Sie schmecken wie eine Kreuzung aus Kölnischwasser und Lavendelöl, eindeutig viel Linalool und Linalyacetat. Sehr ähnlich wie das wundervolle Magnolienblätteröl (aus Michelia alba), das ich seit Jahren von Primavera habe (nun ist ‘nur’ noch das kostbare, schwer blumig duftende Magnolienblütenöl (klick!) erhältlich, jedoch bekommt man das eher an Lavendel erinnernde Magnolienblätteröl bei Oshadhi, Maienfelser und bei Ronald Reike). In China zählen Magnolien übrigens zu den essbaren (Heil-)Pflanzen, irgendwo in Großbritannien wurden die Blütenblätter einst wie saure Gurken eingelegt und verspeist.

Jedenfalls führt mich der Duft der Magnolie wieder zum Thema Verdünnungen. Ich habe schon einige Naturparfüm-Kompositionen mit dem geliebten Magnolienduft fast verdorben: So wundervoll wie ich ihn finde, man muss ihn extrem fein dosieren, sonst stinkt das Endprodukt penetrant.In den letzten Wochen wird im aromapflegerischen Hintergrund intensiv und teilweise sehr aufgeregt diskutiert. Hier nochmals zum Klarstellen:

  • Sowohl in der Aromapflege (im institutionellen Bereich) wie auch in der Aroma-Gesundheitspraxis (in privaten Beratungs- und Behandlungspraxen) und im naturkosmetischen Bereich arbeiten wir mit Verdünnungen, die sich ganz grob am Vorkommen in der duftgebenden Pflanze orientieren: oft circa einprozentig, manchmal etwas höher, möglichst nie über 3 Prozent. Rosen-, Neroli- oder Melissenöl enthalten beispielsweise weit weniger als 0,5% ätherisches Öl, diese intensiven Öle werden schon allein aus Preisgründen stark verdünnt, Lavendel, Eukalyptus, Ingwer oder Atlaszedernholz enthalten zwischen 1 und 3 Prozent ätherisches Öl. Diese Verdünnungs-Empfehlungen gelten erst recht für medizinische Laien, die nach kurzen Schulungen Behandlungen durchführen.
  • Als Ärztin/Arzt oder Heilpraktiker/in mit entsprechender Schulung kann man genau wie im privaten Bereich selbstverständlich bei bestimmten Indikationen höher dosieren und ausnahmsweise auch einzelne Öle unverdünnt anwenden. Jahrelange Erfahrung mit Anwendungen am Menschen, ausreichend Wissen, genügend Schulung sowie beste (auch pharmazeutisch-chemische) Kenntnisse über alle eingesetzten Öle und ihre Inhaltsstoffe sind neben einer guten Berufshaftpflicht-Versicherung für diese Art der Anwendungen im Rahmen eines medizinisches Berufes ratsam.

Weniger ist oft eindeutig mehr: in der Parfümerie als auch in der Psychiatrie. Fachfrau Regula Rudolf von Rohr hat sich zum meinem letzten Blogeintrag Gedanken gemacht: Ihrer Erfahrung nach können bei einigen ihrer Schützlinge in einer psychiatrischen Einrichtung in Basel meine Dosierungs-Empfehlungen bereits zu hoch sein! Das ist bemerkenswert in Anbetracht der Kritik, die aus einer gewissen Ecke stammt, die meine und die Verdünnungsempfehlungen von vielen erfahrenen Kolleg/innen geradezu verachten. Jedoch lese ich derzeit im sehr, sehr anspruchsvollen Fachbuch ‘Olfaction and the Brain’ (als Kindle-Ausgabe und als Papierausgabe), dass viele psychiatrische und neurodegenerative Störungen mit Störungen des Geruchssinnes gewissermaßen Hand in Hand vorkommen, diese Verbindung ist also wissenschaftlich recht gut geklärt (auch wenn noch viele, viele Fragen offen sind, wie die Autoren immer wieder betonen). Aber lassen wir Regula zu Wort kommen:

Hier ein paar Gedanken zu einem Thema, das mich schon länger beschäftigt und nun eine ganz neue Aktualität hat: Die Dosierungen! Ganz grundsätzlich denke ich, dass Aromatherapie in der Psychiatrie einer anderen Definition Bedarf als die ‚herkömmliche‘ Aromatherapie. Das heisst, wir arbeiten nicht mit hohen Dosierungen gegen etwas, sondern zumeist mit tiefen bis sehr tiefen Dosierungen für etwas. Übergeordnet steht da immer die Selbstfürsorge. Mittel zum Zweck ist dabei den Patientinnen und Patienten den Rahmen zu bieten, indem sie Selbstwirksamkeit erfahren und bewusst wahrnehmen. Damit steigt die Motivation oder wird überhaupt erst mal erarbeitet, sich im Alltag selbstverantwortlich ‚Gutes‘ zu tun.
Ausnahmen gibt es ja immer, die bestätigen ja bekanntlich die Regeln. Einerseits geht es dabei um PatientInnen aus der Diagnosegruppe F60.3, also mit einer emotional instabilen Pesönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (F60.31) – Menschen, die sich selber schwerste Verletzungen zufügen, um Spannung abzubauen. Andererseits aber auch um Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung, die erfahrungsgemäss einen stärkeren Reiz brauchen, um sich überhaupt angesprochen zu fühlen (Minimum eine 3%-ige Mischung).
Ich glaube bei Menschen mit schweren Selbstverletzungen ist es vertretbar, auch mal höher zu dosieren – haben sie doch sonst in ihrem Skill-Köfferchen Ammoniak drin, das ihnen die Nase ‘wegätzt’.
Bei den Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen ist es etwas anderes, zum einen ist die Patientengruppe um ein vielfaches grösser, zum anderen sind die Selbstschädigungen meist in einem viel geringeren Ausmass.
Die höheren Dosierungen, 5% oder auch mal 10% sind immer beschränkt auf sehr kleinflächige Anwendungen, konkret auf den Roller (Roll-on), den wir als therapeutisches Parfüm bei unterschiedlichen Indikationen anwenden. Das Riechfläschli ist zwar auch eine tolle Anwendung, aber gerade bei Menschen mit einer ausgeprägten oder multiplen Abhängigkeitserkrankung immer heikel, da sich diese Leute nicht daran halten, nur zu riechen. Die halten den Finger ans Riechfläschli und streichen sich das an den Hals.
Deshalb ist das relativ hoch dosierte therapeutische Parfüm bei dieser Patientengruppe immer wieder eine Alternative um dem vorzubeugen oder Abhilfe zu schaffen.
Ich weiss von anderen die in diesem Bereich auch höher dosiert arbeiten, aber man/frau redet nicht öffentlich darüber. Und jetzt schon gar nicht mehr, nachdem das Thema Dosierungen so im Blickfeld steht.
Ich habe das Label von Eliane mit den 1-3% auch übernommen, das finde ich wirklich wichtig und gut, aber es bleibt ein ‚aber‘, mit dem ich nicht so recht weiss wie umgehen.
In der Klinik ist es für die AP klar geregelt: maximal 3%. Wenn die Leute zu mir in die Aromatherapie kommen, dann habe ich mir bisher die Freiheit genommen, im Einzelfall diese höheren Dosierungen anzuwenden.
Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Dunkelziffer für höhere Dosierungen bleibt oder steigt, wenn wir dieses Thema nicht auch für diese speziellen Einsatzbereiche diskutieren und angehen. Im psychischen Bereich handelt es sich ja meist um Themen bei vorwiegend gesunden Menschen, bzw. Menschen mit allerlei Erkrankungen aus dem somatischen Bereich oder in sogenannten Lebenskrisen, weniger um diagnostizierte psychiatrische Erkrankungen. Ich glaube da bedarf es auch einer Differenzierung, die bis heute kaum gemacht wird.

WIE GEHT IHR DAMIT UM? Mit welchen Dosierungen arbeitet ihr bei den beschriebenen Diagnosegruppen und mit welchen Erfahrungen?

Foto: Antje Wendel