Aromatische Moleküle in lebenden Pflanzen sind sozusagen biologische Buchstaben. Sie bilden eine Sprache, die sich unserem Sprachverständnis entzieht. Wir glauben, nur unser Großhirn könne Sprache produzieren und verarbeiten, ausschließlich auf diese Weise denken. Doch die Ursprache der Menschheit ist die Wahrnehmung von Gerüchen. Der Neandertaler und seine “Kollegen” waren darauf angewiesen, schnell und zuverlässig zu erkennen, ob sich ein Feind in seiner Umgebung herum trieb, egal ob Mensch oder Tier. Dieses Frühwarnsystem musste zuverlässig funktionieren. Sonst gäbe es uns alle heute nicht!

Mutmaßlich konnte der Urmensch sogar die Absicht, die Befindlichkeit, möglicherweise auch die Uhrzeit ablesen, die der Bösewicht mit olfaktorischen Spuren hinterließ. Diese “Ur-E-Mails” steckten voller Informationen, waren also gespickt mit Riechmolekülen, die ohne wissenschaftliche Bildung in Sekundenschnelle erfassbar waren.

Informationen durch Riechmoleküle

Schwitzte der Eindringling etwa verräterisch nach Angstschweiß oder umwehte ihn eine geradezu angsteinflößende Testosteron-Wolke? Kam er in unschöner Absicht um die Höhle geschlichen oder war er nur auf harmlosem Spaziergang auf der Suche nach ein paar Beeren? Möglicherweise verriet die Menge und die Zusammensetzung des Fäkalstoffes Indol in seinen Hinterlassenschaften seinen psychischen Zustand. Dieses Riechmolekül befindet sich interessanterweise – auch heute noch – im Nervensystem und im Kot des Menschen. Nach neuen Erkenntnissen, dass der Darm ein zweites Gehirn ist, nicht überraschend. Oder doch?

Aromatherapie Eliane Zimmermann, Duftwochen in Irland

Wir reagieren auf Indol. Wir sind also mit sehr feinen Sensoren für diesen Stinker ausgestattet. Paradox erscheint nur, dass winzige Spuren davon betörend duften, uns ins Wohlgefühl wiegen, uns auch zum Kauf bestimmter Parfüms verführen können. Je nach Menge und Zusammenspiel mit gleichzeitig in Pflanze oder Naturduft vorhandenen Molekülen können auch angewiderte, geradezu schockierte (und schockierende) Reaktionen an Probanden abzulesen sein. Jasmin (als Pflanze und als Absolue) gehört mit seinem mehr oder weniger ausgeprägtem Indol-Anteil zu den ganz faszinierenden Düften, auf den gerne mal extrem reagiert wird.

Eine Pflanze kann auf Stress mit dem Absondern von einer Jasmonat-Verbindung reagieren (Stresshormone namens Jasmonat-Isoleucin-Konjugate). ErAHNEN wir noch den Stress unserer Vorfahren, wenn wir bestimmte Jasminverbindungen erschnuppern? Sind wir vielleicht irgendwie über ein “Riechstoff-Gedächtnis” mit Erlebnissen unserer Vorfahren verbunden?

Jasmin und ander Blütenabsolues dringen in unbekannte Tiefen ein

In inzwischen mehreren Kursen in Dialogisch aktiver Duftkommunikation nach C. Lamontain konnte ich hautnah den so unterschiedlichen Effekt diversester natürlicher Riechstoffe auf zahlreiche TeilnehmerInnen erleben. Mir wurde mal wieder ganz praktisch deutlich, welch’ “Nasentiere” wir doch noch alle sind! Nur wollen wir ach so modernen Wesen uns das nicht wirklich eingestehen. Unser System ist noch perfekt in der Lage, auf bestimmte Riechmoleküle sehr urtümlich, ohne Einschaltung des Großhirns, zu reagieren. In beide Richtungen, negativ wie positiv erlebend. Tränen können in Sekundenschnelle fließen, wenn winzige Spuren eines nicht benannten Riechstoffes gerochen werden. Ungute körperliche Gefühle können hoch kommen, beispielsweise ein sehr deutliches Gefühl erwürgt zu werden.

Doch auch Glücksgefühle, Euphorie und sexuelle Empfindungen können in Sekundenschnelle aus den tiefsten Tiefen des Unbewussten hochgeschossen kommen. Ist das etwas anRÜCHIG? Manche Riechstoffe können uns immer noch geradezu in Alarmstimmung versetzen! Ganz wie damals, als unser Urahne auf den nächsten Baum rennen musste, weil er Gefahr roch (witterte). Rennen und Klettern war nur nach einer massiven Ausschüttung von Adrenalin möglich, ausgelöst durch das “Lesen” bedrohlicher Riechmoleküle.

Indol als biologische News-Übermittlung

Auch Pflanzen sind mit Rezeptoren für Indol ausgestattet, er kann das Überleben mancher Pflanzen sicher stellen. Ihre Organe sind fähig, Indol-Botschaften zu “verstehen” und darauf zu reagieren. Forscher rund um einen der jüngsten Professoren im deutschsprachigen Bereich, dem 34-jährigen Schweizer Prof. Dr. Matthias Erb, haben im Mais genau diesen Stoff identifiziert. Die Pflanze nimmt ihn als Warnsignal wahr. Dieses Molekül veranlasst das grüne Gewächs, sein Verhalten zu ändern, es aktiviert seine Abwehr. Um herauszufinden, wie die Maispflanzen den Fäkalgeruch “riechen” können, hat die EU 2,2 Millionen Franken bereit gestellt, das Forscherteam um Matthias Erb bekam insgesamt fünf Jahre Zeit, um die «Pflanzen-Nase» zu entdecken. In einer eigens über Pflanzenkommunikation berichtenden Fachzeitschrift sind hoch faszinierende Ergebnisse aus diesem recht neuen Gebiet der Forschung nachzulesen.

Ich empfehle leichter verdauliche, geradezu spannende Ferienlektüre zu diesem Themenbereich:

Volker Arzt: Kluge Pflanzen – Wie sie locken und lügen, sich warnen und wehren und Hilfe holen bei Gefahr (leider nur noch antiquarisch

Florianne Koechlin: Was Erbsen hören und wofür Kühe um die Wette laufen: Verblüffendes aus der Pflanzen- und Tierwelt

Florianne Koechlin: Schwatzhafte Tomate, wehrhafter Tabak: Pflanzen neu entdeckt

Florianne Koechlin: Pflanzenpalaver

Joseph Scheppach: Das geheime Bewusstsein der Pflanzen: Botschaften aus einer unbekannten Welt

Nach der erstmaligen Lektüre einiger dieser Werke (und Live-Vorträgen von Frau Koechlin) vor vielen Jahren wurde ich demütig. Was sind wir doch für kleine Ameisen in einer großartigen Natur! “Ameisen” ist vermutlich sogar zu hoch gegriffen, wir zerstören unsere Welt, unser Nest, unser Schutzsystem. Im Gegensatz zum sorgfältig gebauten und gehüteten Ameisenbau. Wir sind dumme umscheinbare Kreaturen, die mit synthetischen und gepantschten Gerüchen sowie Aromen im Essen uns und unser Lebensumfeld völlig verpesten.

Wir verwischen (Duft-)Spuren, wir machen es Babys immer unmöglicher, diese Ursprache erleben zu dürfen. Wir führen unseren eigenen Darm, dieses feine Nervengeflecht, mit Lebensmittelaromen in die Irre (und wundern uns, warum so viele Menschen am “Reizdarm” leiden). Wir parfümieren Socken, Toilettenpapier, Spielzeug, Putzlappen und so vieles mehr. Um von unserem Ur-Dasein, von der Ur-Sprache abzulenken. Welche uns jedoch wertvolle und lebenserhaltende Informationen geben möchte. Doch wir “hören” (riechen) nicht hin, zu subtil sind die Botschaften.

Der immer mehr verschwenderische Umgang mit den kostbaren Pflanzen zwecks Gewinn-Maximierung ist eines der Zeichen der Verrohung, der Respektlosigkeit gegenüber der Natur und ihren “Zeichen”, ihrer uralten Sprache. Es ist eine typische Verirrung unserer Zeit: “Viel hilft viel, ist ja nur Natur.” Auch dieses Thema, die weltweite konzerngesteuerte Vermarktung von us-amerikanischen Naturdüften (viel Extra-Treibhausgas produzieren statt statt lokale, inhabergeführte Anbieter zu unterstützen) hielt mich in den vergangenen sehr intensiven Duftwochen konstant auf Trab. Demgegenüber steht ein Kollegen-Ehepaar aus den USA, was vorwiegend Naturdüfte verkaufen möchte, die ausreichend durch Riechen wirksam sind, so dass selbst Hautanwendungen überflüssig werden. Damit ein Fläschchen möglichst ein Leben lang hält. Eine spannende Idee (die freilich bei Zitrus. und Nadelölen nicht umsetzbar ist).

Für diejenigen, die die prächtige subtropische Natur Südwest-Irlands auf Exkursionen mit mir erkunden möchten: Hier sind die Beschreibungen samt bebilderte Broschüre zu den Irland-Garten-Wochen zu finden.

WERBUNG  ::  Dieser Artikel enthält Affiliate-Links zu Produkten und Anbietern, von denen ich überzeugt bin. Fotos Azalee-Schnuppern und Farmhaus: Antje Wendel