Manche Öleanbieter bieten im deutschsprachigen Gebiet seit über dreißig Jahren still und eher bescheiden ihre hervorragenden ätherischen Bio-Öle an. Andere Öleanbieter schreien seit gut 10 Jahren laut und aufdringlich, dass ihre Öle die besten der Welt seien. Bei 2 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr behauptet einer dieser global agierenden Anbieter, seine Produkte seien besser als jedes vergleichbare Bioprodukt. Seine Ware stamme von ganz besonderen Farmen und Familenunternehmen: Man schaffe “stabileres und verlässliches Einkommen, Fairness, Beschäftigung und Sicherheit” für Erntehelfer und Sortierer.

Leise Töne vs. lauter Marketing-Prosa

Auf der internationalen Botanica2018-Konferenz in Brighton (knapp 400 Teilnehmende aus knapp 50 Ländern) hörten wir jedoch eine völlig andere Version dieser Marketing-Prosa: Im Vortrag von Zahra Osman Guelle aus Somalia “Frankincense sustainability – truths & alternative truths” hörten wir von anderen Wahrheiten. Sie schilderte die gruseligen unethischen Praktiken sowie den immensen Druck, der seit circa 2008 auf diesen zarten Bäumen und auf den erntenden und verarbeitenden Menschen liegt.

Zahra Osman Guelle

“Ein ausländisches Multinational-Unternehmen und sein lokaler Lieferant arbeiteten 2017 mit einer Reihe von Personen innerhalb der Regierung zusammen, viel Geld floss. Mit einer gut finanzierten Kampagne wurde versucht, durch Regulierung-Maßnahmen die gesamte Weihrauch-Industrie zu zu kontrollieren. Die vorgeschlagene Vereinbarung war kurz und knapp (eine A4-Seite) und konzentrierte sich ausschließlich auf die kommerzielle Kontrolle der Produktion von diversen Harzen der Region Somaliland (im Norden von Somalia). Die Erzeugergemeinschaften sollten ihre Harze an eine einzige neue Regierungsstelle verkaufen, und die zugelassenen Händler sollten ihre Kundenliste offenlegen. Man versprach beispielsweise, eine Schule für die arme Bevölkerung zu bauen. Ja, man stellte vier Wände (sogar mit Dach) hin – das war’s dann.”

Doch wir waren nur knapp 400 entsetzte ZuhörerInnen auf dieser Konferenz.

Was in der englischsprachigen Aromatherapie-Welt möglich ist und wovon auf Sozialen Medien auch reichlich Gebrauch gemacht wird, also das kritische Hinterfragen solcher und anderer unethischer Praktiken, ist im deutschsprachigen Gebiet fast nicht möglich. Bei den regelmäßigen Anfragen an uns DozentInnen –von teils verstörten Menschen, die zum Kauf bestimmter ätherischer Öle geradezu genötigt werden/wurden, muss jedes Wort unserer Antworten auf die Goldwaage gelegt werden. Es sei denn, man freut sich auf den Shitstorm, der folgen kann.

Endlich hat sich eine der größten und renommiertesten Zeitungen der Welt des Themas angenommen: In The Guardian vom 7. Januar 2023 hat Rachel Fobar nach zwei Jahren Recherche noch ganz andere – nicht minder unappetitliche – Themen ausgegraben. Diese Zeitung wird übrigens von circa 18.5 Millionen LeserInnen über 35 gelesen (Quelle).

In dem recht ausführlichen Artikel ist zu lesen, dass mehr als ein Dutzend Frauen, die für den somalischen Weihrauch-Partner (Asli Maydi) eines der gigantischen us-amerikanischen Öleanbieters arbeiten, berichteten, dass das Unternehmen seine Arbeiterinnen routinemäßig unterbezahle.

Es werde von ihnen verlangt, unter harten Bedingungen bis zu 12 Stunden täglich zu arbeiten, teilweise mit gesundheitlichen Problemen verbunden, denn es gebe keine Toiletten und kein fließend Wasser. Eine Pause zu erhalten sei eher die Ausnahme oder nicht möglich. Die Frauen berichten, dass der politisch mächtige Mann, der das Unternehmen leitet, mehrere Frauen angriffen habe und auch (teils mehr als) sexuell belästigt habe. Es seien Wohnmöglichkeiten in der Nähe der Produktionsstätte versprochen worden und Bustransporte, nichts davon sei gehalten worden.

Die Frauen verdienen für das Sortieren von 6 Pfund Harz etwas über $1 pro Tag. Dieser Lohn ist zwar typisch für Sortierer in der Region, ein fairer Lohn müsste jedoch etwa 2,50 $ pro Pfund betragen, also etwa 15 $ pro Tag, basierend auf dem, was was diese Frauen benötigen, um ihre Familien zu unterstützen, sagt Amina Souleiman, Direktorin der Wohltätigkeitsorganisation Horn of Africa, die sich für die Erntehelferinnen und Sortiererinnen in Somaliland einsetzt.

Wer “auspackte”, nachdem sie selbst Opfer wurde, sowie andere Details, lesen Sie im Artikel in The Guardian, sofern Sie von entsetzlichen Dingen, die Frauen angetan werden können, nicht getriggert werden. Der Browser Chrome kann übrigens direkt übersetzen, oder man gibt Passagen, die man nicht versteht, per Kopieren und Einfüllen in die hervorragende Übersetzungs-Maschine Deepl ein.

Losgetreten wurde dieses unappetitliche Thema übrigens im Sommer 2022 durch eine Reportage von VICE News “Inside the Wellness Industry’s Controversial Supply Chains“, die nach wie vor auf YouTube angeschaut werden kann (um die bittere Armut, die karge Erde, das Hacken der Weihrauchbäume wahrzunehmen kann man auch völlig ohne Englisch- oder Somali-Kenntnisse zuschauen).

Das betreffende Unternehmen verteilte an “seine liebe Familie” eine sehr relativierende Stellungnahme (29. Juni 2022), die mir vorliegt. In typischer Marketing-Schönwetter-Manier wird erklärt, wie schwierig der Handel mit all den rivalisierenden Clans sei, das man streng genommen sogar ein Opfer all der ungewöhnlichen lokalen Gepflogenheiten sei, auch dass die Schule, die man gespendet hatte, abgerissen worden sei.

Auf Netflix kann man im ersten Teil der Doku-Serie (Un)Well, auf Deutsch (Un)Gesund einige “Themen” der diversen global tätigen Unternehmen rund um ätherische Öle, natürliche Gesundheit und Schönheit kennen lernen. Man erfährt vom “Jagen und Fangen” (“prey”) vor allem von Hausfrauen, auch von extrem hoch dosierten Anwendungen, deren Schäden als “detox” und als wünschenswert angepriesen werden, und noch über andere – sagen wir mal – eigentümlichen Besonderheiten, welche mehrere Pyramiden-Marketing-Anbieter anwenden. Über die letzten Jahre und nun auch als Reaktion auf den Artikel in The Guardian, der auf Instagram und Facebook geteilt wurde, bekam ich diese Praktiken mehrfach bestätigt.

Liebe(r) LeserIn, sind Ihnen nachhaltiges Handeln und faire Arbeitsbedingungen bei der Gewinnung von ätherischen Ölen und deren Einkauf wichtig? Oder gehen Sie eher nach dem Duft, dem Preis und dem Auftritt Ihrer Lieblings-Anbieter?

Es geht auch kleiner, preiswerter, leiser, fair, von unabhängiger Institution zertifiziert (nicht durch eigene Zertifikate) – und das seit jeweils über 30 Jahren, auch bei den Anbietern auf der Liste hier auf meiner Seite:

Bio-Weihrauch-Öl von Primavera

Bio-Weihrauch-Öl von Farfalla

 


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Foto Frau: Annie Spratt auf • Zeitung: Roman Kraft auf Unsplash • Zahra O. Guelle: privat/Botanica2018