Die Podcast-Folge 73 (17. Februar 2024) der „Quarks Science Cops“ – es geht um Aromatherapie im engeren und im weiteren Sinn – hat uns gleichermaßen erfreut wie erschreckt: Einer der beiden unterschiedlich lautenden Titel war “Wer mit Düften heilt stinkt nach Unwissenschaftlichkeit“ (letzteres Wort sogar in Großbuchstaben). Der Podcast und die gleichnamigeFernseh-Sendung werden vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk WDR mit Steuergeldern produziert.

Die beiden immer wieder recht zynisch lachenden und/oder sprechenden „Wahrheitswächter“ Jonathan Focke (nach eigenen Angaben Master Wissenschaftsjournalismus mit Schwerpunkt Physik) und Maximilian Doeckel (nach eigenen Angaben Freier Journalist WDR5) tummeln sich auf dem Thumbnail-Bildchen bei YouTube links und rechts von drei Ölefläschchen von doTerra. Die Überschrift auf Spotify lautete dementsprechend „Der Fall doTerra“. Sie treten seit Ende 2020 regelmäßig an, um nach eigenen Aussagen aufzuklären:

“Jeden Tag wird in Deutschland unwissenschaftlicher Unfug erzählt. Es ist Aufgabe der Quarks Science Cops, Jonathan Focke und Maximilian Doeckel, diesen Unfug aufzudecken und richtig zu stellen.”

Max und Jonathan betonen im Brustton der Überzeugung, dass sie keine Fake News verbreiten, sondern “echte Evidenz und Fakten”: “Das hier ist für die Atmer da draußen, für die Menschen, die super-gerne atmen… Atme das Richtige ein.” Die erste Minute – für mich überhaupt nicht einladend anzuhören – ist im Tonfall reißerisch, überheblich und mit subtilem amerikanischem Polizeiauto-Geheule unterlegt. Doch es lohnt sich, weiter zu lauschen.

Nach einer recht allgemein gehaltenen Einleitung und der Einspielung eines Videos einer “Beraterin” leitet dann ein Feuerwerk an historischen “Schmankerln” diese durchaus unterhaltsame Stunde ein. Zunächst hören wir ab Minute 11:09 für knapp 10 Minuten etliche Häppchen aus der amüsant-erschreckenden Biografie des Mormonen und Gründers von Young Living. Die Veröffentlichung dieser Biografie führte vor etlichen Jahren im deutschsprachigen Bereich bei KollegInnen zu einer juristischen Abmahnung. Im amerikanischen Internet ist sie jedoch leicht auffindbar – sogar an mehreren Stellen. Solche Infos und Passagen werden im Internet allerdings regelmäßig kräftig gelöscht, beispielsweise negative Schlagzeilen über die Nicht-Beachtung des Artenschutzabkommens CITES und vor allem Hinweise auf den “religiösen” Hintergrund sind unerwünscht. Ich besitze Screenshots und PDFs von zahlreichen entsprechenden Informationen, die nicht mehr ohne Weiteres abrufbar sind.

“Hoch konzentriertes Stoffgemisch – nicht nichts”

Doch es gibt ja die Wayback Machine, so dass beispielsweise ein ausführlicher Artikel zu dieser Biografie aus der renommierten Wirtschaftszeitschrift BusinessInsider noch gelesen werden kann, die Überschrift – gerne selber suchen – lautet: “Inside Gary Young’s criminal history, secret past, and his cultlike leadership of the Young Living ‘essential oils’ empire.” [Übersetzungshinweis: cult = Sekte, cultlike = sektenähnlich] Die Science Cops verweisen bei all diesen fast nicht vorstellbaren biografischen Kuriositäten auf einen Artikel im renommierten Magazin “The New Yorker”, den sie laut eigener Ankündigung verlinken wollten, ich wurde jedoch weder auf YouTube noch auf Spotify fündig. Vermutlich handelt es sich um diesen Text vom 2. Oktober 2017, der mir auch seit einigen Jahren bekannt ist. Aus europäischer Sicht wäre es denkbar, dass der Wahrheitsgehalt hoch ist, da dieser Artikel inzwischen mehr als 6 Jahre online für jedermann und- frau zu lesen ist.

Nur wenige ätherische Öle, sofern sie einen nicht allzu hohen Anteil an Monoterpenen ohne funktionelle Gruppe enthalten, können unverdünnt auf die Haut aufgetragen werden, da es sich um maximal konzentrierte Vielstoffgemische handelt. In den meisten Fällen muss also auf physiologisch verträgliche Verdünnungen (0,5 bis 3 %) geachtet werden, insbesondere wenn medizinische Laien damit hantieren.

Die Science Cops nehmen anschließend einen kurzen Schwenk zu den internen Streitigkeiten, und schildern, wie der frühere Mitmacher dann zum Gründer des ebenso mormonisch geprägten Konkurrenz-Unternehmens wurde (die beiden stritten sich auch vor Gericht, dazu gibt es nicht wenige Infos im englischsprachigen Internet > “wer suche, der findet!”). Das neuere Unternehmen agiert inzwischen noch aktiver, noch globaler und bisweilen aggressiver. Es hat übrigens eine Niederlassung in München, vor dem Brexit war die Europa-Niederlassung in Großbritannien.

Laut nicht ganz einheitlichen Angaben macht es circa eine Milliarde Dollar Umsatz pro Jahr. Allerdings seien die Unterschiede zum ursprünglichen Unternehmen, was das Geschäftsmodell anbelangt, nicht sehr groß, so die beiden Redakteure. Ätherische Öle wurden somit endgültig zur Massenware und zum global gehandelten Wellness-Produkt. Doch die circa 1,5 Millionen meist sehr stolzen und sich sehr selbstbewusst gebenden “Wellness-AdvokatInnen”, die nach Firmenangaben allein in Europa 49 Millionen Fläschchen im Jahr 2023 verkauften (533 Millionen weltweit Quelle), glauben (!) ganz fest daran, dass es sich um einzigartige Ware handelt, hochwertiger sogar als alle Bio-Siegel dieser Welt, freilich alles stammt von kleinen Farmen und bestens bezahlten Mitarbeitern.

Eine Dokumentation auf Netflix lässt nicht nur mich daran zweifeln, ich denke eher an den führenden Burger-Anbieter mit seinen mehr als 36.000 Filialen oder an den international auftretenden Pappbecher-Kaffee-Lieferanten mit weltweit über 38.00 Filialen. Im ersten Teil der Doku-Serie (Un)Well, auf Deutsch (Un)Gesund können einige “Themen” der diversen global tätigen Unternehmen rund um ätherische Öle, natürliche Gesundheit und Schönheit kennengelernt werden. Wir erfahren vom “Jagen und Fangen” (“prey”) vor allem von Hausfrauen, auch von extrem hoch dosierten Anwendungen, deren Schäden als “detox” und als wünschenswert angepriesen werden (in Wahrheit handelt es sich um eine Kontaktdermatitis, wie der in den USA bekannte ökologisch orientierte Aromatherapie-Fachmann David Crow in seinem Beitrag des Aromatic Hologram Project betont).

Netflix, The New Yorker und The Guardian durchleuchteten bereits

Auch in The Guardian vom 7. Januar 2023 hat Rachel Fobar nach zwei Jahren Recherche ein unappetitliches Thema ausgegraben. Diese Zeitung wird übrigens von circa 18.5 Millionen LeserInnen über 35 gelesen (Quelle). Über die letzten Jahre und nun auch als Reaktion auf den Artikel in The Guardian, der auf Instagram und Facebook geteilt wurde, bekam ich diese Praktiken von “Pyramiden-Marketing” bzw MLM anbietenden Duft-Riesen mehrfach bestätigt (ich berichtete zusammenfassend im Artikel vom Januar 2023 Weihrauch macht reich [bestimmte Menschen] – Frauen zahlen teuer dafür).

Zurück zu den Science Cops, die weiter über die Entwicklung des MLM-Geschäftsmodells berichten. Zunächst wurden die überdurchschnittlich teuren Naturdüfte von dem im “Mormonen-Staat” Utah ansässigen Unternehmen auf „Plastikdosen-Parties“ gehandelt (das angeblich unabhängige Besser-als-Bio-Siegel verleihendes Institut befindet sich ganz nah, also fast “um die Ecke”). Empfehlungsmarketing ist in dieser Region, in der die Religionsgemeinschaft der Mormonen zuhause ist, weit verbreitet, denn immer kennt jemand jemanden, die/die gerne sensationelle Produkte kauft, weil die Glaubensschwester oder der Glaubensbruder davon in den höchsten Tönen schwärmt.

Sie sind bestens geschult in einer bestimmten “Überzeugungs-Ansprache”, sie treten meistens überdurchschnittlich gut gelaunt auf, sie sind freundlich und angenehm in ihrer Erscheinung. Je nachdem wo sie auftreten, verwenden sie auch schon mal “biblische Vergleiche”, welche bei manchen Menschen entweder als Andeutung ankommt “was Jesus konnte, kann ich nun auch mit meinen kostbaren Salben und Ölen” oder – gar nicht so selten – als eine Art subtile Gehirnwäsche empfunden wird.

Mit dem Aufkommen und Größer-Werden der diversen „Social Media“-Kanäle, allen voran, Instagram, Facebook, YouTube und TikTok, sehen wir sozusagen “stets und ständig und überall” diese meistens sehr missionarische Art mit teils illegalen Heilsversprechen. Diese sind oft gespickt mit diffamierenden bis rufschädigenden Hinweisen zu seit 30 oder 40 Jahren im deutschsprachigen Raum etablierten Ätherische-Öle-Anbietern. Mantra-artig wird gewarnt und behauptet, diese würden nicht so reine Öl anbieten, angeblich sogar oft “gepantschte” Öle verkaufen (dabei wird ganz offen deklariertes anwenderfreundliches, umweltfreundliches und/oder geldbeutelfreundliches Verdünnen in Jojoba oder Bio-Trinkalkohol grob verwechselt mit nicht deklariertem, hinterhältigem Hinzufügen von dubiosen Substanzen). Sie nennen oft völlig ungeniert die Firmennamen der alt-eingesessenen deutschsprachigen Bio-Öle-Anbieter.

Wohl bemerkt, die teils gesundheitsschädlichen Dosierungen und Einnahme-Empfehlungen sowie die rufschädigenden Beschreibungen etablierter ehrlicher Bio-Anbieter (da von unabhängigen und anerkannten Instituten geprüft) werden NICHT durch die global agierenden Ätherische-Öle-Unternehmen ausgesprochen. Vielmehr plappern die BeraterInnen/Reps alias Wellness-AdvokatInnen (schätzungsweise 95 Prozent davon sind Frauen) diese Sprüche gebetsmühlenartig nach, oft in fast identischen Sätzen.

Die Science Cops kritisieren genau dies, aus meiner Sicht völlig zu Recht, dass also die so genannten Reps (RepräsentantInnen) diese Heilsversprechen verbreiten. Sie werden dafür auf für Europäer eigenartig anmutenden, schier unvorstellbar großen und kirchlich-feierlich wirkenden “Conventions” entsprechend “geschult” (einfach mal auf YouTube suchen, in einer dieser Shows zeigen einige Mediziner lautstark auf einer Bühne, wie gesund es sei, einen Schluck ätherisches Öl einzunehmen und praktizieren “Simultan-Schlucken”, worauf die Halle voll tosenden Applauses gefüllt ist. Es ist übrigens strengstens untersagt, diesen Videoclip zu teilen, doch man findet ihn (vom 05.12.2016, 2.49 Minuten). Es wird mit reichlich Musik- und Lichteffekten gearbeitet, die emotionale Beeinflussung der teils sehr fanatisch auftretenden TeilnehmerInnen ist ganz klar ersichtlich, es geht dort zu, wie auf so manchem Rock-Konzert einer beliebten Band, wie mir eine befreundete Kollegin schilderte.

Die Reps erhalten wunderschöne moderne bunte schriftliche Hochglanz-Unterlagen und können auf hervorragend gemachte Websites zurück greifen. Sie werden verführt mit der verlockenden Behauptung – geradezu ein Köder, dass sie als eingetragene DistributorInnen alles zum Einkaufspreis kaufen können. Dennoch zahlen sie nach diesem Ammenmärchen-Trick oft wesentlich mehr als den Ladenpreis von unabhängig zertifizierten hervorragenden ätherischen Ölen. Würden sie legal im Handel tätig werden und einen Gewerbeschein beantragen, bekämen sie selbstverständlich auch Einkaufspreise bei den deutschsprachigen Firmen, welche teils auf Unterstützung angewiesene kleinere Familienunternehmen. Doch irgendwie lockt diese Grauzone des Home-Handels anscheinend sehr und der Blick auf andere (sowie legalere) Möglichkeiten wird völlig ausgeblendet.

Das Unternehmen selbst hält sich also mit schriftlichen Gesundheitsversprechen extrem bedeckt. Denn in den USA gab es wegen einiger dieser Behauptungen bereits Abmahnungen durch die FDA (Food and Drug Administration). Dennoch finden sich auf deren us-amerikanischer Website immer noch mehr gesundheitliche Aussagen als auf der deutschen Seite.

Die Reps werden umso mehr dabei unterstützt, die teils abenteuerlich hohen Dosierungen inklusive der Empfehlung, mehrfach täglich ätherische Öle einzunehmen (meistens mit den englischen Namen bezeichnet), breitflächig bekannt zu machen (manchmal heißt es: “morgens 2 Tropfen frankincense (Weihrauch) unter die Zunge geben, mittags peppermint und lemon ins Trinkwasser geben, zwischendrin “heiße” Öle in selbst gemachte Kapseln geben, diese können bedenkenlos geschluckt werden, da als Lebensmittel zertifiziert). Uns sind Anwendungs-Empfehlungen von bis zu 18 Tropfen täglich einzunehmenden ätherischen Ölen “einfach so” bekannt, also ohne vorliegende Krankheit. Die Science Cops beleuchteten dieses Treiben mutig (oder mit dem guten Gefühl einer hilfreichen Juristen-Abteilung des WDR im Rücken; sonst niemand im deutschsprachigen Raum traut sich, solche Missstände öffentlich aufzuzeigen, denn deren Anwälte sitzen stets „Gewehr bei Fuß“, wie wir bereits erleben konnten).

Täglich ein paar Löffelchen Meerrettich inhalieren!?

Ich muss bei solchen Einnahme-Empfehlungen immer an Meerrettich denken: Dieses europäische extrem scharfe Gemüse hat nachgewiesene antibiotische Eigenschaften durch die enthaltenen bis zu 0,3 Prozent Glucosinolate, welche auch in einem freiverkäuflichen Arzneimittel verarbeitet sind. Würde jemand jeden Tag über viele Monate mehrere Esslöffel Meerrettich essen, “einfach so”, ohne Krankheit, nur zu Wellnesszwecken oder um das “Immunsystem zu stärken”? Ich behaupte: Nein! Doch ähnliche Mengen an schleimhaut-reizenden Pflanzenmolekülen, die nicht auf eine physiologische Verdünnung mit Trägersubstanzen wie Olivenöl gemischt werden, werden von zig Tausenden (oder sind es inzwischen gar Millionen?) Gläubigen tagtäglich eingenommen, Kinder mit inbegriffen.

Ab 1. März 2024 zu hören, auf das Bild klicken oder überall, wo es Podcasts gibt

Leider verfielen Max und Jonathan im zweiten Teil ihrer Sendung, der fast nichts mit dem angeprangerten Unternehmen zu tun hatte, immer wieder in Polemik, was die wissenschaftlichen Forschung über ätherische Öle anbelangt. Da wir fast täglich Studien aus diesem Bereich suchen-finden-lesen-vergleichen und auch etliche Wissenschaftler persönlich kennen, nehmen wir in unserer morgigen 111. Podcast-Folge “Von Science Fans und Science Cops” Stellung zu deren Kritik, geben ihnen in manchen Punkten auch Recht und beleuchten – teils eigenartige – Widersprüche der beiden WDR-Mitarbeiter.

Sie zitierten kurioserweise eine als “historisch” geltende Studie aus dem Jahr 1996 – vermutlich eine der allerersten deutschen klinischen Studien überhaupt, in der bestätigt werden konnte, dass 1000 mg Acetaminophen (circa 2 Tabletten Paracetamol) bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp genau so gut wirkt wie aufgetragenes 10%iges Pfefferminzöl. Göbel H, Fresenius J, Heinze A, Dworschak M, Soyka D. Effectiveness of Oleum menthae piperitae and paracetamol in therapy of headache of the tension type. Nervenarzt. 1996 Aug;67(8):672-81 Ja, es gibt eine Aktualisierung dieser Arbeit von 2016, die auch schon wieder als “historisch” eingestuft werden könnte (nach 5 Jahren gelten Studien als “historisch”): Göbel H, Heinze A, Heinze-Kuhn K, Göbel A, Göbel C. Peppermint oil in the acute treatment of tension-type headache. Schmerz. 2016 Jun;30(3):295-310

Aber sei’s drum, ich empfehle das Produkt, das seinerzeit aufgrund dieser Erkenntnisse entwickelt wurde, auch sehr gerne, es ist in jeder deutschen Apotheke erhältlich, ich beschrieb es bereits 2014 hier auf dieser Seite. So manche Migräne-Attacke, unter denen ich früher sehr litt, konnte ich damit abwenden, auch die Übelkeit auf meinen vielen Reisen hatte ich damit gut im Griff. Wir wissen zudem aus langjähriger Erfahrung, dass ein ähnliches Produkt, das im Handumdrehen hergestellt werden kann, ähnlich oder genau so wirksam sein kann.


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Die Science Cops bestätigen, dass es “einige Untersuchungen” gäbe, was die keimwidrigen Eigenschaften von ätherischen Öle anbelangt (Minute 46:34), doch das Wörtchen “einige” ist sehr unpassend. Ich denke an die mehr als hundertseitige Tabelle im umfangreichen Fachbuch von Buchbauer und Baser (von Seite 357 bis Seite 533 in der ersten Auflage, die mir vorliegt – inzwischen gibt es die 3. Auflage. Ich denke auch an die französischsprachigen Texte und Bücher zu tausenden oder gar zig tausenden von Aromatogrammen seit den 70er Jahren (zB von Paul Belaiche und auch von Paul Duraffourd und Sohn Christian Duraffourd [1943-2017]).

Im deutschsprachigen Bereich ist die Apothekerin Dorothea Hamm DIE Kennerin der antiseptischen Wirkung von ätherischen Ölen, da sie unzählig viele Aromatogramme in Auftrag gegeben und ausgewertet hat. Im Fachbuch Aromapraxis Heute, das sie zusammen mit einer Ärztin, einer Heilpraktikerin und einem Öle-Fachmann im Jahr 2022 im Urban & Fischer Verlag veröffentlichte, ist das alles gut belegt nachzulesen. Freilich sticht niemand in einen Körper, um den Krankheitskeimen bei ihrem Treiben zuzuschauen, in diesem Gebiet gibt es darum keine klassischen klinischen Studien.

Vielmehr werden Abstriche von kontaminierten Geweben oder Körperflüssigkeiten gemacht, mutmaßlich wirksame ätherische Öle werden in Petrischalen dazu gegeben, bebrütet und nachdem die wirksamsten Naturdüfte, die in Pflanzen als Signal- und Abwehrstoffe fungieren, ermittelt worden sind, können diese von Apothekern und BehandlerInnen angewendet werden. Nach einem bestimmten Zeitraum der Behandlung damit erfolgt wieder ein Abstrich, der dann in vielen Fällen die erfolgreiche Sanierung sogar von resistenten Keimen wie MRSA belegt (ich schrieb hier auf dieser Seite viele Artikel dazu, beispielsweise über die Erstellung eines Aromatogramms, gerne einfach in den Kategorien Antibiotikum oder MRSA nachlesen!). Auch einer unserer bislang fünf Quickfinder, jeweils umfassende Linksammlungen zu allem was wir zum jeweiligen Thema zusammen trugen, widmet sich diesem Themenbereich: Links zu kostenfreien Rezeptideen, zu webSeminaren, zu Podcast-Folgen, zu Artikeln etc

Im DUFT-TALK 3 unterhalten wir uns mit der Pionierin der Aromatogramme in Deutschland: Dorothea Hamm. Sie ist erfahrene Apothekerin und Dozentin, sowie von Anbeginn der deutschsprachigen Aromatherapie-Bewegung mit dabei. Sie ist zudem mit tausenden von Aromatogrammen vertraut, sie kennt die relevanten ätherischen Öle bei vielen alltäglichen Infektionen, sei es Candida im Genitalbereich von Groß und Klein, MRSA bei Pflegeheim-Bewohnern oder immer wieder kehrende Blasenentzündungen. In diesem aufgezeichneten web-Seminar berichtet sie von vielen ihrer wertvollen Erkenntnisse und teilt erfolgreiche Rezept-Beispiele mit uns.

Die Erstellung von personalisierten Aromatogrammen funktioniert genau so wie die Erstellung individueller Antibiogramme (zum Herausfinden des passenden Antibiotikums). Unser Ziel als BehandlerInnen ist es, das passende ätherische Öl (oder mehrere) für einen persistierenden Krankheitskeim zu finden. Weitere Informationen rund um die teils unglaublich effektive Wirkung von ätherischen Ölen bei Infektionen beschrieb ich in diesem Artikel über Resistenzen, in dem ich auch zwei beeindruckende Wissenschaftlerinnen aus Großbritannien und Südafrika vorstelle.

Wer übrigens diverse Studien, welche die hilfreiche Unterstützung bei onkologischen  Erkrankungen belegen, kennen lernen möchte, kann dies bei unserem 2-täglichen live-online webSeminar am 21. und 22. März 2024 machen, noch sind einige Plätze frei! Infos und Anmeldung bei Sabrina Herber auf der Vivere-Website. Freilich gibt es viele Rezepturen, Behandlungs-Erfahrungen und auch den Austausch unter den Teilnehmenden, inkl. der Möglichkeit, Fragen zu stellen.

Mini-“Studie” wird nach Kritik an zu kleinen Studien als relevant dargestellt

Nicht nur kurios, sondern wirklich ärgerlich ist, dass Max und Jonathan eine kleine Serie von unsäglichen, recht unseriösen “Studien” erwähnen, die auf extrem unvollständigen Beobachtungen an 12 Kindern beruhen. Besonders ärgerlich, weil sie zuvor den klinischen Studien mit ätherischen Ölen vorwerfen, zu klein zu sein, in der Methodologie unsauber und auch sonst irgendwie nicht ernst zu nehmen. Aber dass bei 8 Jungen und 4 Mädchen (weltweit?!) ein abnormales Brust-Wachstum (Gynäkomastie) und/oder eine vorzeitige Pubertät angeblich aufgrund des Gebrauchs von Lavendelöl eintrat, das beschreiben sie im Brustton der Überzeugung.

Ich berichtete bereits mehrfach über diese unsägliche Behauptung, auch über die zweifelhafte Art des “Beweises” (ätherische Öle in Plastikgefäßen zu untersuchen kann zum Herauslösen von Weichmachern im Plastik führen, einige dieser Phthalate sind bereits als hormondisruptive Stoffe identifiziert). Gerne nachlesen in meiner Stellungnahme unter Teebaum im Öle-Lexikon, und auch in der Lavendel-Monografie, diese PDF-Datei kann gerne runtergeladen und verteilt werden.

In Lateinamerika werden Babys gerne stark parfümiert. Könnte es sein, dass jahrelanger Gebrauch von solchen Produkten in Plastikflaschen zu unerwünschten Wirkungen im Hormonhaushalt führt?

Es gab eine – von der Presse nicht breit getretene – ENTWARNUNG, dazu kann dieser Blogartikel über die vermeintlich durch ätherische Öle ausgelöste Gynäkomastie (Brustwachstum) nachgelesen werden. Bereits zuvor gab es anderslautende Erkenntnisse: 2015 erschien eine Studie an 106 gesunden dänischen Jungs, welche die alte Annahme, dass eine Gynäkomastie eine Folge von einem gestörten Verhältnis zwischen Östrogenen und Testosteron, also den Geschlechtshormonen, sei, widerlegte. Vielmehr zeigt diese Arbeit, dass IGF-1, ein insulin-ähnliches Hormon, bei diesem als extrem peinlich empfundenen Beschwerdebild, eine wesentliche Rolle spielt. Erst vor wenigen Monaten widmete sich wieder jemand dieser unerfreulichen pseudowissenschaftlichen Gerüchteküche: Ich war einmal wieder erstaunt, was im folgenden Review zu lesen ist!

Vier dieser zuvor beschriebenen Kinder mit vermutlich hormonellen Dysbalancen wurden (bereits als Kleinkind) mit den in Lateinamerika typischen “colonias” beglückt bzw beduftet. Als in Südamerika geborene und aufgewachsene Frau kenne ich diese Art von “Kosmetik” sehr gut, benutzte ich doch selbst etliche davon. Der Arbeit von Braunstein & Braunstein aus dem August 2023 können wir entnehmen, dass es sich beim “verdächtigen Lavendelöl” um “Agua de Violetas” (sowie Nachahmer-Produkten) handelt. So ein Duft gehört bei kubanischen Babys und Kindern zum “guten olfaktorischen Ton”. Also auch bei Expat-Kubanerinnen in Florida und Umgebung.

In diesen Produkten sei Lavendel enthalten. Veilchenwasser, aha, okay, nach Lavendel duftend, alles klar. Dann schauen wir doch mal auf die Inhaltsstoffe von “Agua de Violetas”:

  • SDA 407 Alcohol
  • Water
  • Fragrance
  • D&C Red No 33
  • FD&C Blue No 1

Angenommen, dass sich unter “fragrance” Lavendelöl versteckt, was ich nicht glaube, eventuell vielleicht eines oder zwei der Haupt-Moleküle von Lavendelöl, also vielleicht natürliches Linalool und Linalylacetat (vermutlich doch eher aus dem Labor!) – dann frage ich mich allen Ernstes: Was ist mit den anderen Bestandteilen von diesem Parfüm?! Warum ist nur “Lavendel” im Verdacht??? Womit wurde der Alkohol SDA denaturiert (nicht selten mit preiswerten hormondisruptiven Stoffen, wie in Europa bekannt)? Was ist mit den anderen Inhaltsstoffen, wie reagiert ein Kinderorganismus mit den enthaltenen Farbstoffen? Aus welchem Plastik bestehen die Flaschen und Deckel dieser Produkte? Lavendel sei schuldig, da nach Absetzen das Brustwachstum und die vorzeitigen Anzeichen einer einsetzenden Pubertät verschwanden. Okay, als Laie darf man sowas behaupten. Doch von “Studien”, die um die wissenschaftliche Welt gehen, um dann in der Laienpresse breit getreten zu werden, erwarte ich deutlich mehr Präzision.

Liebe Science Cops und andere LeserInnen: Gerne diese Übersicht über die 8 bedufteten und geschädigten Kinder (Review in der Fachzeitschrift Paediatric Endocrinology) mal genau durchlesen (gerne mit Hilfe des einigermaßen zuverlässig funktionierenden Übersetzungs-Tools www.deepl.com )! Vielleicht ist mir ja etwas Entscheidendes entgangen…. Ich denke auch weiter… mir kommt der Mann in den Sinn, etwas älter als ich, der sogar unter schmerzhaftem Brustwachstum litt. Worauf seine Ärztin ihm empfahl, mal das Trinken seines Mineralwassers aus Plastikflaschen sein zu lassen. Nach einem halben Jahr hatte er wieder eine normale Männerbrust.

Mein Fazit: Diese Sendung war längst überfällig, danke, Max und Jonathan dass ihr “das Kind beim Namen” genannt habt, weil mir würde sicher kaum jemand diese “Schauer-Stories” glauben (nur die vielen Betroffenen, die sich seit Jahren hilfesuchend an uns wendeten, denen möchte ich heute Danke für ihre Schilderungen sagen und Mut zusprechen). Diese Aufklärung war dringend nötig, ich werde immer wieder gerne auf eure Folge #73 verweisen, wenn in Zukunft solche Hilferufe kommen.

Für den zweiten Teil dieser Sendung hätte ich mir weniger “Kuddelmuddel” aus nicht gut recherchierten wissenschaftlichen Hintergründen mit den teils unsäglichen Behauptungen dieser “Wellness-Advokatinnen” gewünscht. Dieses “Kuddelmuddel” diffamiert seriöse Wissenschaftler, die sich seit mindestens vier Jahrzehnten mit der Thematik befassen (wir nennen in unserer Podcastfolge #111 einige Namen von Wissenschaftlern, die wir hoch schätzen und/oder persönlich kennen). Auch all die vielen Menschen, die Aromapflege und Aromatherapie als “Dienst am Nächsten” verstehen, die Tag und Nacht die Not und die Schmerzen von PatientInnen versuchen zu lindern, oft mit Hilfe von sorgfältig eingesetzten ätherischen Ölen, werden mit vielen der in dieser Sendung aufgestellten Behauptungen diffamiert.

Wen die beiden Podcaster in den (virtuellen) Knast schicken verraten sie am Ende ihrer Sendung und auch wir amüsieren uns am Ende unserer eigenen Sendung darüber.

Lesenswert: Kollegin Margareta Ahrer aus Österreich begründet vor einigen Jahren in einem ausführlichen Artikel, warum sich in ihrer Empfehlungsliste von vertrauenswürdigen Öle-Anbietern keine MLM-Firmen aufgelistet sind. Sowie meine gut 20 Artikel zum Thema, die unter der Kategorie DIY-MLM abgelegt sind.

Wer sich mit den durchaus möglichen höheren Dosierungen durch MedizinerInnen, insbesondere im französischen Sprachraum beschäftigen möchte, kann meinen Artikel in der Deutschen Heilpraktiker Zeitung (Haug Verlag) dazu lesen oder den Artikel hier auf dieser Seite.

:: WERBUNG :: Könnte unbeauftragte und unbezahlte Links zu Naturdüften enthalten.

Foto Ölanwendung auf Hand von Christin Hume auf Unsplash  ::  Foto Mikrofon: von Jonathan Velasquez auf Unsplash   ::   Foto Baby: von Khoa Pham auf Unsplash    :: Collage mit Motiven von Canva